Rad, Bahn und Carsharing
So verändern Pirnaer ihre Mobilität durch „100fach mobil“
Ob zur Arbeit, zum Einkaufen oder zu Freunden – die Krankenschwester Romy Schein legt ihre Wege konsequent mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurück. Zwar besitzt sie ein Auto, doch seit Beginn des Projekts „100fach mobil“ im August bleibt es größtenteils stehen. „Ich bin sehr konsequent und nutze es nur noch, wenn es wirklich nötig ist, zum Beispiel für den Besuch bei meiner Großmutter im Pflegeheim. Für längere Strecken nehme ich jetzt den Zug – früher hätte ich dafür immer das Auto genommen,“ erzählt sie. Besonders begeistert ist sie davon, wie sehr sich das Projekt auf ihre Gesundheit ausgewirkt hat: „Ich bin sportlicher und fitter geworden, weil ich so viel Rad fahre und zu Fuß unterwegs bin.“
Seit drei Monaten läuft das Projekt „100fach mobil“ in Pirna. Es wird vom Landesverband Nachhaltiges Sachsen e. V. in Zusammenarbeit mit der Stadt organisiert. Ziel ist es, eine vielfältige Mobilität ohne eigenes Auto zu fördern und herauszufinden, wie alltagstauglich der Umstieg für verschiedene Teilnehmende ist. Beim Workshop am 13. November im Mehrgenerationenhaus FAMIL in Copitz berichteten die Teilnehmenden von ihren Erfahrungen und Herausforderungen.
E-Bike statt Auto: Neue Mobilitätsgewohnheiten
Auch Silvio Georgi hat durch das Projekt neue Wege gefunden, seinen Alltag zu gestalten. „Ich habe mir ein E-Bike gekauft und bin damit nach Neustadt gefahren – das hätte ich sonst niemals gemacht,“ berichtet er im Workshop. Ähnlich wie Romy Schein hat auch er das Auto deutlich weniger im Einsatz und fühlt sich fitter und sportlicher.
Ähnlich äußert sich Benjamin Nebe, der gemeinsam mit seinen beiden Kindern mit dem Fahrrad ins FAMIL gekommen ist. Ihr Auto nutzen sie nur noch selten. „Wir überlegen tatsächlich, unser Auto abzuschaffen“, erzählt Nebe. Die Familie nutzt stattdessen seit Projektbeginn vermehrt das Fahrrad und ein bis zweimal pro Woche Carsharing. Besonders bei spontanen Terminen, wie einem Kinderarztbesuch, hat sich Carsharing für sie bewährt. „Ich bin überrascht, wie günstig Carsharing ist – das konkurriert sogar mit dem ÖPNV“, erklärt er.
Kritik und Lob für den ÖPNV
Den ÖPNV erleben und bewerteten die Teilnehmenden im Workshop unterschiedlich. Bei Benjamin Nebe sorgt die Linienführung der G/L für Frustration: „Wir sind schneller aus der Dresdner Innenstadt in Graupa als aus der Pirnaer Innenstadt. Für vier Kilometer braucht der Bus 40 Minuten. Das erscheint mir völlig absurd“, sagt er. Auch andere Teilnehmende bemängeln die unübersichtliche Linienführung, unzureichende Anbindung am Abend und fehlende digitale Haltestellenanzeigen. Lob gibt es jedoch von Heidrun Ruge, die seit September am Projekt teilnimmt: „Wir haben einen guten Nahverkehr in Richtung Sächsische Schweiz, gerade in die Wander- und Klettergebiete. Es wird aber noch zu wenig genutzt.“
Patrick Lehmann, ein weiterer Teilnehmer, hat den Umstieg auf den ÖPNV hingegen positiv erlebt, wie er in einem Interview berichtet. Für ihn ist die Fahrt mit der S-Bahn zur Arbeit in Dresden angenehmer als mit dem Auto. Auch für Freizeitaktivitäten mit der Familie nutzt er den ÖPNV. „Ich bin entspannter geworden. In der Bahn kann ich Podcasts hören oder mich mit meinem Kind unterhalten. Auch wenn es mit dem Auto schneller geht, ist die Zeit im Zug qualitativer“, sagt Lehmann. Dennoch wünscht auch er sich Verbesserungen – vor allem bei der Sicherheit im Radverkehr.
Verkehrsraum sicherer gestalten
Auch im Workshop wurde der dringende Wunsch nach einem sicheren Radwegenetz von Teilnehmenden formuliert. Benjamin Nebe berichtet von seiner Sorge um die Sicherheit seiner Kinder: „Meine Kinder würden gerne selbstständig mit dem Fahrrad in die Stadt fahren, aber das ist mir zu unsicher. Es fehlt an sicheren Radwegen, die von der Fahrbahn getrennt sind.“ Zudem verschärft die gestiegene Aggressivität im Straßenverkehr die Situation. „Die Gefahr geht nicht von der Straße selbst aus, sondern von großen Massen, die sich darauf bewegen“, ergänzt Nebe.
Die Schwachstellen im Radwegenetz konnten die Teilnehmenden im Workshop mithilfe von Stadtplänen dokumentieren. Lücken existieren etwa in Graupa, auf dem Sonnenstein und in Richtung Struppen. Auch die Seminarstraße in Pirna wurde als unsicher hervorgehoben – gerade für Kinder. Die Stadtverwaltung, die am Workshop beteiligt war, erklärte in einem Vortrag die langwierigen Planungsprozesse im Bereich der Verkehrsinfrastruktur. „Ich fand die Beteiligung der Stadtverwaltung am Workshop super und kann nun verstehen, wieso die Planung und der Bau von Radwegen häufig lange dauern“, sagt Luisa Faller, die ohne Auto lebt und sich für den Radverkehr in Pirna engagiert. Im Projekt gibt sie ihre Erfahrungen weiter, um zu zeigen, wie einfach es ist, auch ohne Auto mobil zu bleiben. Besonders freut sie sich über die Vernetzung mit dem ADFC, mit dem sie nun die Gründung einer Ortsgruppe plant.
Ausblick und weitere Schritte
Die im Workshop gesammelten Lösungsvorschläge wurden an die Stadtverwaltung übergeben, die diese bis zum nächsten Treffen im Februar prüft. Die Teilnehmenden werden weiterhin aufgefordert, auf das Auto zu verzichten und das Projekt aktiv zu unterstützen – idealerweise bis zum Abschluss der Testphase von „100fach mobil“ im Juli. Für Romy Schein steht das fest: „Ich ziehe das Projekt zu 100 Prozent durch. Mein Auto hat mittlerweile Spinnweben am Spiegel – ich habe es schneller stehen lassen, als ich gedacht hätte.“ Sie motiviert auch ihre Freunde, öfter auf das Auto zu verzichten, auch wenn sie dabei auf Widerstand stößt: „Ich versuche, sie zum Nachdenken zu bringen. Es ist nicht einfach, aber ich bleibe dran.“
Der Artikel erscheint in einer gekürzten Fassung in der Ausgabe 23/24 des Amtsblatts von Pirna.
Förderhinweis:
Die Finanzierung des Projekts 100fach mobil erfolgt durch die Initiative Mobilitätskultur von PHINEO.