Neue Impulse für Frankenbergs Mobilität

Einblicke aus dem Projekt „100fach mobil“ in Frankenberg/Sa.

Der Busfahrer Enrico Brandt kennt das ÖPNV-Netz in und um Frankenberg/Sa. bestens – sowohl beruflich als auch privat. Zwar besitzt er noch ein Auto, hat es jedoch für das Projekt „100fach mobil“ seit August größtenteils stehen gelassen. Stattdessen kombiniert er Bus und Bahn mit seinem E-Roller. „Es macht Spaß, das Auto stehen zu lassen, und es ist viel entspannter. So komme ich sogar zum Lesen“, erzählt Brandt. Dennoch weiß er, dass der Verzicht auf das Auto nicht immer leicht umzusetzen ist: „Im Oktober hatte ich Glück und konnte meine Dienste so legen, dass ich immer mit dem ÖPNV zur Arbeit kam. Das ist aber nicht immer möglich“, fügt er hinzu.

Workshopteilnehmer tauschen Erfahrungen aus

Seit drei Monaten läuft das Projekt „100fach mobil“ in Frankenberg/Sa., organisiert vom Landesverband Nachhaltiges Sachsen e. V. in Zusammenarbeit mit der Stadt. Ziel des Projekts ist es, eine vielfältige Mobilität ohne eigenes Auto zu fördern und herauszufinden, wie alltagstauglich der Umstieg für verschiedene Teilnehmende ist. Beim Workshop am 7. November im Haus der Vereine berichteten die Teilnehmenden von ihren Erfahrungen und Herausforderungen.

Harald Schmitz, der seit Projektbeginn überzeugter ÖPNV-Nutzer ist, erklärte: „Man kommt mehr in Kontakt miteinander, wenn man Bus und Bahn fährt.“ Schmitz hat außerdem berechnet, wie viel ihm das eigene Auto im Monat kostet: „80 Euro allein für den Unterhalt, und dann noch der Sprit. Da komme ich mit dem Zug sogar auf weiten Strecken günstiger.“

Ideen für einen ÖPNV ohne Zeitverluste

Auch Ronald Pönisch, Diplom-Kaufmann aus Altenhain, berichtete von seinen Erfahrungen. Mit seiner Familie habe er sich von zwei auf ein Auto reduziert – „Das ist die Grenze“, meint Pönisch. Für den Arbeitsweg nutzt er den ÖPNV und geht die drei Kilometer zum Bahnhof in Braunsdorf zu Fuß. „Für Einkäufe oder Termine in der Stadt brauche ich jedoch das Auto“, erklärt er. „Ich habe nicht die Zeit, mehrmals die Woche mit dem ÖPNV oder Fahrrad einzukaufen, und Lieferdienste, die die Einkäufe nach Hause bringen, gibt es hier schlicht nicht.“ Dass der Umstieg auf alternative Verkehrsmittel oft mehr Zeit erfordert, bestätigt auch die ehemalige Busfahrerin Sandra Böhme: „An Tagen, an denen ich genug Zeit habe, klappt es gut ohne Auto. Ich genieße es, im ÖPNV die Verantwortung abzugeben.“ Allerdings merkt sie an, dass die Anschlüsse in Frankenberg nicht immer optimal sind.

Im Workshop wurden neben persönlichen Erlebnissen auch konkrete Verbesserungsvorschläge für den ÖPNV diskutiert. Sandra Böhme wies darauf hin, dass die Anschlüsse der Linien D, E und 640 oft nicht aufeinander abgestimmt sind. „Manchmal funktioniert der Umstieg nur, weil die Busfahrer warten“, erklärt sie. Auch die parallele Abfahrt der Citybahn und des Expressbusses nach Chemnitz wurde als verbesserungswürdig genannt. Enrico Brandt schlug ein Ringbussystem für die Randgebiete vor, um etwa den Mühlbergring besser anzubinden. Auch die Anbindung der Ortsteile am Wochenende und in den Abendstunden sei ein Anliegen.

Drei Teilnehmer identifizieren auf einem Stadtplan Hürden für den Radverkehr

Lisette Tolxdorf setzte sich für eine Bank an der Haltestelle Hohe Straße Richtung Stadt ein, um den älteren Bewohnern das Warten zu erleichtern. „Diese kleine Verbesserung würde mich schon glücklich machen“, sagt sie. Dieser Hinweis geht an die Stadt, die für die Bushaltestellen zuständig ist. Florian Aurich vom Tiefbau der Stadt Frankenberg/Sa. verdeutlichte in seinem Kurzvortrag über die Zuständigkeiten für den öffentlichen Verkehrsraum, dass die Stadtverwaltung grundsätzlich offen für Verbesserungsvorschläge sei. Vorschläge zum ÖPNV werde die Stadt an die Verkehrsbetriebe weiterleiten. Lisette Tolxdorf ergänzte, dass es hilfreich wäre, wenn sich auch mehr Bürger direkt bei den Verkehrsbetrieben beschweren würden. „Je mehr Leute sich melden, desto sichtbarer wird der Bedarf“, betont sie.

Mitfahrbank wo der ÖPNV versagt

Ein weiterer Vorschlag im Workshop war die Einführung von Mitfahrbänken – speziell gekennzeichneten Wartebänken an zentralen Orten. Diese setzen auf selbstorganisierte Mobilität, wenn der ÖPNV nicht ausreicht. Wartende Personen machen ihr Ziel mit einem Schild sichtbar, und Autofahrer, die in diese Richtung fahren, können sie mitnehmen. Besonders für selten befahrene Strecken, wie etwa zwischen benachbarten Dörfern, könnte dies eine kostengünstige Lösung sein. Hainichen hat Mitfahrbänke bereits erfolgreich eingeführt. Ronald Pönisch sieht großes Potenzial für Frankenbergs Ortsteile: „Ich wünsche mir eine Prüfung, ob die Mitfahrbänke in der Bevölkerung angenommen werden. Wenn ja, könnte das die Mobilität in den ländlicheren Gebieten deutlich verbessern.“

Workshopteilnehmer tauschen Erfahrungen aus

Neben dem ÖPNV kam auch der Fuß- und Radverkehr im Workshop zur Sprache. So wiesen Teilnehmende auf problematische Ampelschaltungen hin, die Radfahrende nicht berücksichtigen, wie etwa an der Kreuzung Mühlbacher Straße und Freiberger Straße. Der passionierte Radfahrer Marko Wätzig markierte auf einem Stadtplan Gefahrenstellen für Radfahrende und schlug eine gemeinsame Begehung mit der Stadtverwaltung vor. Zudem äußerten die Teilnehmenden den Wunsch nach mehr Fahrradbügeln, sichereren Übergängen für den Fußverkehr und mehr öffentlichen Toiletten, um den Fuß- und Radverkehr attraktiver und sicherer zu gestalten.

Gesund und fit auf dem Rad unterwegs 

Diese Diskussionen wurden von den persönlichen Erfahrungen der Teilnehmenden ergänzt. Das Rentnerpaar Sonja und Reiner Bräunig berichtete von den Vorteilen ihrer neuen E-Bikes, die ihnen das Radfahren auf längeren Strecken erleichtern. „Wir fühlen uns fitter und gesünder und sind weniger auf den Bus angewiesen“, erzählen sie. Ines Klein, die ebenfalls am Projekt teilnimmt, betont, wie sehr ihr die Umstellung auf das Fahrrad und den ÖPNV gut getan habe – sowohl in puncto Fitness als auch im Hinblick auf die Entlastung des Alltags. Auch sie hofft, dass sich durch das Projekt langfristig die Mobilitätssituation in Frankenberg/Sa. weiter verbessert. Enrico Brandt gibt weiterhin zu bedenken, dass es nicht nur um das Mobilitätsangebot gehe, sondern auch um das Thema Nahversorgung. „Würde es in den Randgebieten und Ortsteilen Einkaufsmöglichkeiten geben, wären viele Verkehrsprobleme gelöst“, erklärt er.

Die Stadtverwaltung zeigte sich im Workshop offen für die vorgeschlagenen Ideen und will diese bis zum nächsten Treffen Ende Januar prüfen. Bis dahin bleiben die Teilnehmenden weiterhin engagiert und erkunden die Möglichkeiten einer vielfältigen Mobilität ohne eigenes Auto.

Der Artikel erscheint am 22.11.2024 in der Ausgabe 13/32 des Amtsblatts von Frankenberg/Sachsen.


Förderhinweis:

Die Finanzierung des Projekts 100fach mobil erfolgt durch die Initiative Mobilitätskultur von PHINEO.

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